Die romantische Generation hatte viele Darstellungen italienischer Frauen in ländlicher Tracht hervorgebracht, die um die Jahrhundertmitte von aufwendiger inszenierten Bildern nach historisch oder exotisch kostümierten Modellen abgelöst wurden. Beide zielen auf den Typus und lassen die Individualität selbst eines berühmten, unverkennbaren Modells ins Allgemeine, Namenlose gleiten. Doch was dem Linearstil der Nazarener gemäß war, ließ sich mit Feuerbachs sinnenbeschwerter Idealsuche nicht ohne weiteres vereinbaren, und so bleibt immer ein Rest unaufgehobener Privatheit: »Miriam« bleibt, der im Bildtitel aufgerufenen Bibelstelle zum Trotz – nach dem Untergang des ägyptischen Heeres im Roten Meer führte die Schwester von Mose, die Prophetin Miriam, den Siegestanz der Frauen Israels an (2 Mos. 15, 20 f.) –, ein Kostümstück wie es um jene Zeit besonders in Frankreich häufig vorkommt. Das Musikinstrument dient als willkommener Vorwand für die schöne Spiralbewegung, die das Modell, wiederum Feuerbachs vielbewunderte Nanna, durch die Untersicht noch erhöht, mit herablassender, kühler Anmut vollführt. Doch der unvorbereitete Betrachter könnte in ihr ebenso eine Zigeunerin erblicken, deren Tamburin nach Ferne und Freiheit klingt. Schon 1853 hatte Feuerbach in Paris eine Zigeunergruppe mit Tamburinschlägerin (Hamburger Kunsthalle) gemalt und gleichzeitig ein »Mädchen mit Tamburin« von Franz Xaver Winterhalter kopiert (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg); im Vergleich mit diesen beiden erweist sich in der reiferen Bilderfindung die Würde und Alltagsferne, die Abwesenheit aller Koketterie. Ende der 1850er Jahre hatte er ebenfalls dieses Motiv gestaltet (Historisches Museum, Speyer); dieses Bild aber stellte gewiß noch nicht Nanna dar. | Claude Keisch